Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Flugwetter zu Christi Himmelfahrt 05.05.2016 Der Herrentag steht vor der Tür. Er hat nicht angeklopft, er ist einfach da. Zwar hatte ich mich auf seinen Besuch vorbereitet, mir einen Plan gemacht, aber dieser Herrentag hat seinen eigenen Kopf und entscheidet deshalb auch anders. Eigentlich wollte ich diesen Tag mit Blues verbringen. Ich wollte knackige Bratwurst kauen, mich freuen und viel Sonne, also Vitamin D, inhalieren. Kurzfristig zwingt er mich nun umzudenken und auf meine lang ersehnten Freuden verzichten. Deshalb bin ich sauer, als der Herrentag vor meiner Tür steht und meint, ich müsse umdisponieren. Na Klasse! Zur Wahl stehen ein gänzlich fauler Tag, ein Blitzbesuch auf dem Brocken oder ein Ausflug zu einem Flugschauereignis nahe Ballenstedt. Letzteres wird zum Plan erklärt und dann gibt es keine Ausrede mehr. Der gerade noch vorhandene Frust wird in trotzige Energie verwandelt, der Nachbar informiert und die Enkelkinder plus die Mama in Vorbereitungsmodus versetzt. Am späten Vormittag startet die Schüttel und drängelt sich durch den Ausflugsverkehr der B6 entgegen, die sie schon an der nächsten Abfahrt wieder verlässt. Durch die quittegelben Rapsfelder und den Harz vor der Kühlerhaube geht es dem kleinen Örtchen Badeborn entgegen. Kurz hinter dem Ortsausgang wird der Blick ins Tal frei und gleich darauf folgt auch der Schock. Da unten vor, neben und hinter dem kleinen Flugplatz glitzert ein Meer von Autodächern in der prallen Sonne. Von jetzt auf gleich bleibt nichts anderes, als sich einzuordnen und zu warten, was geschehen wird. Die lange Schlange bewegt sich träge aber beständig in Richtung Eingang und dort vorbei, noch einmal hundert Meter, und dann nach rechts auf eine endlos weite grüne Wiese. Ohne Kontrolle, ohne den Kauf eines überteuerten Parkzettels, finden wir bald inmitten des ausgebreiteten Bleckteppichs ein Plätzchen für die Schüttel. Auch der Einlass geht zügig voran und ehe man es bemerkt, steht man für nur vier Euronen mitten im Menschengewühl, zwischen Buden und Verkaufsständen. In der frischen Luft lauert der Geruch von Fisch, süßem Gebäck und Bratwurst. Plötzlich hebt mit lautem Donnern ein Doppeldecker ab und entschwindet hinter den Bäumen. Das Flugplatzfest ist bereits in vollem Gange. Während ich einer leckeren Bratwurst den Garaus mache, alle anderen irgendwo im dichten Getümmel verschwinden, finde ich Ruhe, mich zu orientieren. Mir ist nicht nach Drängelei zwischen all den vielen Händlerständen, wo Dinge angeboten werden, die man doch nicht braucht. Vorn an der Absperrung zur Flugpiste, wo die unterschiedlichen Flugzeugtypen zu bestaunen sind, finde ich bald einen guten Stehplatz. Für die nächsten drei Stunden werde ich hier stehen, wie eine deutsche Eiche, und wie ein Kind dem Treiben am Boden sowie am azurblauen Himmel zuschauen. Der Rest der Familie und der Nachbar beschäftigen sich derweil mit dem Bestaunen und Entdecken anderer Dinge. Direkt vor der Nase der Zuschauer sind vier historische russische ЯK 50 geparkt. Die Abfangjäger aus den 1950er Jahren sind wohl, wenn ich den Sprecher richtig verstanden habe, die letzten ihrer Art auf deutschen Boden. Ebenso wie die beiden Antonows, die immer abwechselnd zu Rundflügen aufsteigen und den Passagieren ein fantastischen Blick auf die Berge und gelben Rapsfelder ermöglichen. Meinen ersten Gedanken, mir so ein Erlebnis zu gönnen, habe ich ebenso schnell verworfen, wie den an einen Tandemsprung aus 2500 Meter Höhe aus einer Antonow. Mit dem Kauf der Tickets sorgt man dafür, dass die Lebensdauer der hier stationierten Flugveteranen jedes Jahr ein Stück nach hinten verlängert wird, lässt uns der Sprecher wissen. Mein Mut reicht dennoch nicht und so bewundere ich lieber die Show vom Boden aus. Fotos durch Anklicken vergrößern Wir erleben, wie die ЯK 50 (dt: Jack 50) einzeln in den Himmel aufsteigen, um kurz danach im Tiefflug an uns vorüber zu fliegen. Das geht so schnell, dass man kaum zum Knipsen kommt. Selbst der Profi neben mir, mit einem Teleobjektiv vor der Linse, flucht leise, aber hörbar, in sich hinein. Als dann der Doppeldecker, eine Antonow AN 2, seinen Vorbeiflug hat, gelingt das wesentlich besser. Die Antonow ist der größte einmotorige Doppeldecker der Welt und diese beiden stolzen Exemplare in Ballenstedt sind auch die beiden einzigen in Deutschland, werden wir informiert. Außerdem kann ich einen alten Agrarflieder bestaunen, der sehr enge Kurven fliegt, und eine kleine Cessna, die man hier ebenfalls für Rundflüge bis zum Brocken besteigen kann. Einer der Höhepunkte des Nachmittags sind die Flugkünste der vier ЯK’s, die gemeinsam aufsteigen, um Formations- und Kunstflugfiguren zu zeigen. So etwas erlebe ich in diesen Minuten zum ersten Mal in meinem Leben, während ich Fallschirmsprünge schon öfters bestaunen konnte. Etwas Besonderes sind auch die Flüge von zwei Flugmodellen, die, mit einem besonderen Turboantrieb ausgestattet, mit 400 Stundenkilometern über den Platz jagen und, von einem ohrenbetäubendem Lärm begleitet, vor uns senkrecht in den Himmel aufsteigen und genau so wieder nach unten jagen. Die Turbine soll so stark sein, dass sie so lange senkrecht nach oben steigen könnten, bis sie das Funksignal nicht mehr erreichen würde. Wenn man die beiden Mini-Jäger einmal live erlebt hat, glaubt man das gern. Zum Fotografieren sind sie allerdings viel zu schnell an uns vorbei und schon wieder im Blau des Himmels verschwunden. Irgendwann habe ich meine Füße nicht mehr gespürt, dafür aber meine Hüfte und den Rücken. Ein Blick auf die Uhr zeigt mir die Kaffeestunde an. Ich habe mehr als drei Stunden in der prallen Sonne gestanden, ganz viele Flugzeuge bestaunt und in den Himmel gesehen, um manchmal doch nichts zu entdecken, weil die Fallschirmspringer genau im Lichtkegel der Sonne zur Erde schwebten. Wie nach einem langen Stehkonzert verlasse ich langsam, und körperlich leicht behindert, wieder den Ort des Geschehens. Als die Schüttel wieder heimwärts, entlang an vielen gelben Rapsfeldern, „fliegt“, bin ich müde und habe dringend Lust auf eine erfrischende Dusche. Zu Hause vor dem Spiegel sehe ich das kleine Andenken, das mir die junge Maisonne auf die Stirn gemalt hat. Zum Herrentag hat sie mir den ersten Sonnebrand des aufkommenden Sommers geschenkt. Himmelfahrt ohne ein Flugticket, aber einer Menge schönen Eindrücke von „verrückten Männern in ihren fliegenden Kisten“ sowie Farbe im Gesicht. Eigentlich habe ich nur manchmal den Blues, und von ihm verführt zu werden, vermisst. Mein erster Herrentag seit vielen Jahren, lange im Voraus geplant und dann doch völlig anders verlaufen.
Ich bin der RockRentner im Harz
und berichte hier von meinen Wanderungen, zufälligen Begegnungen und Entdeckungen im Harz.